Handbuch für Empowering Jewish Voices

  1. Übersicht
  • Vorwort(e)
  • Gliederung des Handbuchs

1.) Was ist Antisemitismus?

  • Definitionen
  • Antisemitismus, eine Form von Rassismus?

2.) Ursprünge des Antisemitismus

2.1. Judentum und die hellenistisch – römische Antike

2.2. Antijudaismus

Einstieg in die Formen des modernen Antisemitismus

3.) Die neuen Rechten und der alte Hass

3.1. Post 1945 Antisemitismus/ Holocaustleugnung

3.2. Antisemitismus in rechten Kreisen

4.) Islamistischer Antisemitismus

4.1. Mohammed und die Juden – Basiswissen für den Einstieg in die Diskussion

4.2. Israel und die muslimische Welt – Narrative und Fakten zum Konflikt

5.) Linksextremistischer Antisemitismus

5.1. Antizionismus und Antisemitismus in linken Kreisen

5.2. Der Holocaust im Rahmen von Anti – und Postkolonialismus

5.3. „Pinkwashing“; feministischer Antisemitismus und Friedensbewegungen

6.) Exkurs: Antisemitische Verschwörungsmythen heute

Einleitung

Antisemitismus gilt zurecht als eine der schlimmsten und gefährlichsten Ideologien der Welt. Einen der wichtigsten Gründe dafür liefern die Schrecken der Nazi – Diktatur, welche für die systematische Ermordung von 6 Millionen jüdischer Menschen verantwortlich ist. Die fast gänzlich erfolgte Vernichtung des europäischen Judentums lieferte nach der Niederlage der Nationalsozialisten im Jahr 1945 die große Frage, wie solch eine schreckliche Tat überhaupt geschehen konnte. Deutschland als das hauptverantwortliche Land, aber auch andere europäische Länder, welche von den Nazis besetzt wurden und welche zum Teil mit den Nazis kooperierten, gestalteten jeweils ihre eigenen Erinnerungskulturen, um der Verstorbenen zu gedenken.

Allerdings trat die Frage nach den Ursprüngen und Darstellungen des Antisemitismus im größeren Kontext eher in den Hintergrund. Frühstens seit den Anschlägen auf das jüdische Zentrum in Berlin und das jüdische Seniorenheim in München, beide 1970, bei dem zahlreiche Holocaustüberlebende umgekommen sind, schien der Antisemitismus zurück in Deutschland zu sein.

Mit dem Anschlag auf das olympische Team Israels in München 1972 wurde zusätzlich der Israel – bezogene Antisemitismus in Deutschland durch Terrorismus sichtbar.

Die Umstände der Anschläge sowie die Verwicklung von RAF – Terroristen in die Entführung der Air France Maschine nach Entebbe 1976 verdeutlichten, dass Antisemitismus noch immer deutlich in Deutschland präsent ist, sogar außerhalb rechter, neo-nazistischer Kreise. Besonders schockierend war die Selektierung von israelischen und jüdischen sowie nicht-jüdischen Fluggästen während der Flugzeugentführung.

Der Antisemitismus war somit unzweifelhaft mitnichten nach der Zerschlagung des Dritten Reiches aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist. Dieses Beispiel soll zusätzlich auf die falsche Annahme verweisen, dass Antisemitismus einzig im rechtsextremen politischen Spektrum anzutreffen ist.

Ein breiter Umfang an Studien und Analysen des modernen Antisemitismus unterteilt diesen in drei Milieu, dem rechtsextremen, linksextremen und islamistischen. Die Narrative, Sprache und Bilder überschneiden sich häufig, wobei jedes dieser extremistischen Milieus eine spezifische Sprache für sich einnimmt. Der Israel – bezogene Antisemitismus wirkt dabei besonders als milieuübergreifend und findet zahlreiche Anhänger in der Mitte der Gesellschaft wie auch innerhalb gesellschaftlicher Randgruppen und Minderheiten.

Aus dieser Perspektive betrachtet ergibt sich die dringende Notwendigkeit der genaueren Analyse, was konkret Antisemitismus ist, auf welche Grundlage er sich stützt und wie man seine Anläufe erkennen und verstehen kann.

Das folgende Handbuch entstand während der Durchführung des Projekts „Empowering Jewish Voices – media strategies against anti-Semitism“ der Europäischen Janusz Korczak Akademie e.V. in Zusammenarbeit mit der Jewish Agency for Israel und unterstützt durch das Union’s Rights, Equality and Citizenship Programme (2014-2020) of the European Commission.

  • Was ist Antisemitismus? Eine kurze Übersicht der Definitionen

Eine der wichtigsten Fragen der Thematik beginnt bereits bei der Definition. Diese war nicht nur lange Zeit im Grunde nicht vorhanden, sondern auch im Unklaren, wo man ansetzen sollte. Mit dem Holocaust kam die Betitelung „Judenhass“ oder bloßer Hass auf jüdische Menschen eine neue Bedeutung. Vom historischen Aspekt aus betrachtet, hat sich diese Ablehnung jüdischer Menschen mitsamt ihrer Kultur und Religion weiterentwickelt. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde der Begriff „Antisemitismus“, beruhend auf den Polemiken und Hassschriften des Anarchisten Wilhelm Marr (1819 – 1904). Zum ersten Mal wurde hier der Übergang von einer religiös betonten zu einer rassischen Feindschaft gegenüber jüdischen Menschen sichtbar.

Dennoch zeigt sich besonders in heutiger Zeit, dass die Ideologie des Antisemitismus weitaus vielseitiger und anpassungsfähiger geworden ist. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wurde 2016 die Definition der „International Holocaust Remembrance Alliance“, kurz IHRA – Definition, vorgestellt. Explizit wurde hier die Feindschaft zum Staat Israel mit übernommen.

Die IHRA – Definition wurde nach ihrer Veröffentlichung zügig von mehreren Institutionen und Regierungen, darunter Deutschland, übernommen. Von pro-palästinensischen und progressiven Gruppen, aber auch von einigen wissenschaftlichen Institutionen, gab es Kritik an der Definition, da ihr eine Zensur von palästinensischen Stimmen vorgeworfen wird.

Umso wichtiger ist es, hier einige weitere Erklärungsversuche und Definitionen anzubringen.

1.1.) Definitionen

Beginnen möchten wir mit der Vorstellung der bereits thematisierten Definition der IHRA: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen. ”

„Antisemitismus ist eine Weltanschauung mit Leidenschaft, welche die moderne Gesellschaft spezifisch erklären möchte. Diese Weltanschauung ist in sich hermetisch geschlossen.“ – Samuel Salzborn, Vortrag im Münchner Rathaus, 17.02.2020

– Wolfgang Benz: Antisemitismus ist Judenfeindschaft in allen Formen und Ausprägungen, die im Alltag ihren Anfang nimmt: mit grundlosem Argwohn, mit beleidigenden Witzen, durch Ausgrenzung, durch das Gerücht, das sich als Gewissheit ausgibt. (aus: Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? München, 2005, S. 235)

„Antisemitismus ist nicht bloß ein Vorurteilssystem, sondern ein Weltdeutungs- und Glaubenssystem, das in den abendländischen Denk- und Gefühlsstrukturen verankert ist. Über Sprachgebrauchsmuster werden judenfeindliche Stereotype ständig reproduziert und bleiben damit im kollektiven Bewusstsein. Auch die Erfahrung des Holocaust hat diese Tradition nicht gebrochen.“ (https://www.linguistik.tu-berlin.de/fileadmin/fg72/Antisemitismus_2-0_kurz.pdf) Monika Schwarz – Friesel

1.2) Antisemitismus eine Form des Rassismus?

Besonders in heutiger Zeit ist die Gleichsetzung von Rassismus und Antisemitismus, bzw. die Kategorisierung von Antisemitismus als eine Form von Rassismus. Betrachtet man allerdings die Definition von Rassismus der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) e.V. und des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e.V. (IDA)) erkennt man fundamentale Unterschiede zum Antisemitismus. In der Definition von Rassismus heißt es:

Rassismus ist die bewusste und unbewusste Hierarchisierung und Diskriminierung von Menschen auf Basis konstruierter Differenzen äußerlicher und/oder kultureller Art, die mit einer Aufteilung der Gesellschaft in die dazu gehörenden („wir“) und die nicht dazu gehörenden („ihr“) einhergeht. Die zugeschriebenen physiognomischen und/oder kulturellen Differenzierungen werden mit positiven („wir“) oder negativen („ihr“) Merkmalen (Charakter, Moralität, Vernunftbegabung, etc. …) verknüpft.

  • Ursprünge des Antisemitismus

Die Frage nach der Definition des Antisemitismus ist unmittelbar mit dessen ungefähren Ursprüngen verbunden. Diese sind historisch schwer zu datieren, weißen allerdings im Kontext der europäischen Geschichte auf eine Konfrontation zwischen zwei grundlegend unterschiedlichen Weltanschauungen. Die jüdische, frühe israelitische Gemeinschaft der 12 Stämme befand sich laut den Erzählungen der Bibel in zahlreichen Konflikten mit den Völkern des antiken Nahen Ostens. Festzuhalten ist dennoch, dass diese Völker, selbst Assyrer und Babylonier, welche viel Schaden dem israelitischen Volk zugefügt haben, darunter das babylonische Exil nach der Zerstörung des ersten Tempels, nie eine gezielt anti-israelitische/anti-jüdische Agenda gehabt zu haben schienen. Dies lässt sich nicht aus den jüdischen Quellen ableiten. Interessanter wird dagegen die Betrachtung der Frage, weshalb dagegen der Antisemitismus ausgerechnet in Europa eine solch immense Dimension erreicht hat!

Hierzu lohnt es sich eine genaue Betrachtung der Fundamente der modernen europäischen Gesellschaft.

2.1.) Judentum und die hellenistisch – römische Antike

Angesichts gesellschaftspolitischer Umwälzungen in den europäischen Ländern, welche durch eine starke Migrationsbewegung aus dem Nahen Osten und Afrika hervorgerufen wurden, trat, insbesondere in rechts-orientierten und konservativen Kreisen, der Wunsch nach Bewahrung und Stärkung des jüdisch – christlichen Abendlands auf. Dieser Begriff, erst im 19. Jahrhundert als Abgrenzung zum islamischen (eigentlich mehr islamisch gelesenen) Orient etabliert, soll eine Charakteristik Europas in einer jüdisch – christlichen Symbiose suggerieren. Doch wie passt der Antisemitismus in diese Symbiose?

Das jüdisch – christliche Abendland ist eine Chimäre, die nicht viel mit den eigentlichen Wurzeln der europäischen Kultur gemeinsam hat – nämlich der hellenistisch – römischen Kultur. Bereits der Name “Europa” entspricht einer mythischen Frau, in die sich die oberste griechische Gottheit des Olymps, Zeus, verliebte und sie in Form eines Stiers nach Kreta entführte, wo sie dem Zeus u.a. den König Minos gebar, einem der wichtigsten Könige der antiken Minoischen Hochkultur der Insel Kreta und damit einer der ersten europäischen Hochkulturen.

Diese frühe Episode in der griechischen Mythologie ist nicht zufällig gewählt, zeigt sie doch ein erstes fundamental unterschiedliches Gottesbild zum Judentum. Zeus, Hera, Hermes, Hades usw. sind sogenannte Olympier, die wichtigsten Figuren des altgriechischen Götterpantheons, denen mit Statuen und Bildern, wie auch in anderen polytheistischen Traditionen in anderen Regionen der Welt gehuldigt wurde.

Für das Judentum ist bereits dies unvorstellbar, zeigt doch die Geschichte um den “Tanz um das Goldene Kalb”. Kaum eine Sünde wird in den jüdischen Quellen so oft verdammt und vor keiner Sünde wird so oft gewarnt wie dem Götzendienst. Das Anfertigen und Anbeten von Figuren, Naturphänomenen und natürlich Menschen verdient laut der Quellen die Todesstrafe (im antiken Israel kaum ausgeführt).

2.2) Antijudaismus

Christlicher Antijudaismus bezeichnet die Feindschaft zu Juden aus theologischen Gründen. Diese Form des Hasses prägte das europäische Mittelalter bis in die frühe Neuzeit. Ausgangspunkt war zum einen die innerjüdischen Auseinandersetzungen zur Zeit des zweiten Tempels und der römischen Besatzung Israels. Mit der zunehmenden Christianisierung des römischen Reiches kam es ab dem 1 Jh. u.Z zu christlichen Polemiken gegen das Judentum, stark beeinflusst durch die Theologie und Werke des konvertierten Juden Saulus/Paulus. Diese „Lösung“ des Christentums vom Judentum bildete ein Fundament für theologische Attacken auf die jüdische Gemeinschaft als den „obsoleten“ alten Bund. Das neue Christentum betrachtete sich dagegen als neuen Bund mit Gott und damit als neues „auserwähltes Volk“. Juden, die weder Jesus als Messias anerkennen wollten noch die christliche Substituionstheorie akzeptieren konnten, wurden zu Zielscheiben von christlichen Polemiken wurden.

Die Verschärfung dieser Feindschaft kann ab der „Konstantinischen Wende“, die im Jahr 313 weitreichende Veränderungen bewirkte und an deren Ende das Christentum den Rang der Staatsreligion im Römischen Reich erlangte, angesetzt werden. Mit dieser epochalen Wende setzte die jahrhundertelange politische und religiöse Verfolgung der Juden in christlichen Ländern ein.

Zum anderen erfolgte hier die vollendete Symbiose zwischen dem Christentum und der hellenistisch – römischen Kultur, die bereits lange vor dem Erscheinen der ersten Christen eine antagonistische Haltung zum Judentum entwickelte. ( -> Siehe Judentum und die hellenistisch – römische Antike)

Im darauf folgenden Mittelalter prägte sich die Ablehnung der jüdischen Gemeinschaft in Vorwürfen der sogenannten Kollektivschuld am Tode Jesus aus. Die in christlichen Kreisen genannte „Blutschuld“ wurde auf Vorstellung von einem unstillbaren Blutdurst der Juden nach christlichem Blut weitergespinnt und lieferte die Grundlage für die noch heute bekannte Legende vom Ritualmord an christlichen Kindern durch Juden.

Weitere Anschuldigungen waren Hostienschädigungen oder der Vorwurf der Vergiftung der Brunnen während der Pest-Epidemien.

All diese Vorwürfe führten zu zahlreichen Pogromen und Übergriffen Seitens der christlichen Mehrheitsbevölkerungen quer durch Europa.

Die Anschuldigungen gegenüber Juden fanden sowohl in der Katholischen als auch orthodoxen Kirche statt. Auch die Reformation war kein Schritt in die bessere Richtung, da mit Martin Luther einer der wichtigsten Reformatoren verstärkt die Bekehrung der Juden sich zum Ziel gesetzt hatte. Mit seiner Zurückweisung verschärfte Luther seine Sprache und rief zu kollektiver Gewalt an den Juden auf.

Die Folgen dieser jahrelangen Ausgrenzung führten zur Entfremdung zwischen den jüdischen und christlichen Gemeinschaften Europas.

Jüdische Menschen mussten außerhalb der damals sicheren Stadtmauern leben, konnten kein Land besitzen und durften das wichtige Handwerk nicht ausüben. Einzig der Geldhandel (Zinswirtschaft) wurde ihnen auferlegt, was jedoch die bis heute unrühmliche Verbindung von Juden und Geld prägte.

Erst das Zweite Vatikanische Konzil 1965 spricht Juden vom Gottesmord, bzw. Kollektivschuld frei & reformiert Beziehungen zum Judentum grundlegend.

Der Antijudaismus zeigte sich stark in der Kunst (Darstellungen von Juden mit dem „Judenhut“, „Judensau“ z.B. an der Wittenberger Stadtkirche) und legte den Grundstein für heute erneut anzutreffende Verschwörungsfantasien.

Einstieg in die Formen des modernen Antisemitismus

3.) Die neuen Rechten und der alte Hass

Der Begriff „Neue Rechte“ ist im heutigen analytischen Gebrauch als Sammelbegriff für politische Parteien und Bewegungen rechts der Mitte etabliert worden. Oftmals findet bei der Betrachtung dieser eine Gleichsetzung mit dem Rechtsextremismus und völkisch – rassischem Denken statt. Die „Neuen Rechten“ sind ein Phänomen in zahlreichen europäischen Ländern, welche besonders die lokalen wie auch außereuropäischen, jüdischen Gemeinden einem kritischen Blick unterziehen. Insbesondere die antisemitische Komponente steht öfters im Kontrast zu der Positionierung dieser „Neuen Rechten“ als Unterstützer des Staates Israel.

3.1. Post 1945 Antisemitismus/ Holocaustleugnung

„Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“, auf diese knappe Formel lässt sich der sekundäre Antisemitismus, auch bekannt als post-Auschwitz Antisemitismus, bringen. Dieser spezifische Nachkriegsantisemitismus speist sich vor allem aus Motiven der Erinnerungsabwehr an die Shoah.

Der Wunsch, das Geschehene schnell zu vergessen wurde sichtbar durch die Anwesenheit der „Displaced Person“, der Holocaust-Überlebenden gestört, die sich vor Pogromen wie in Polen (1946 in Kielce!) und der sowjetischen Armee zu retten versuchten und dabei nach Deutschland gelangten. In den 1950er Jahren zeigte sich zeitlich der noch immer vorhandene Nationalsozialismus als Gedankengut der Menschen. Bereits 1950 verzeichnete die Deutsche Reichspartei (DRP), die bis 1965 existierte und in den Landesparlamenten von Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz saß, die „Auschwitzlüge“ in ihrem Programm und war offen völkisch – antisemitisch. Die antijüdische Stimmung wurde mit Schmierereien an den Synagogen in Köln und Düsseldorf 1959 zusätzlich sichtbar. In der DDR, wie im gesamten Ostblock, wurde sich nicht um die Belange der Holocaust-Überlebenden gekümmert. Die DDR, als selbstbezeichnend antifaschistischer Staat, lehnte eine Verantwortung für die Taten der Nationalsozialisten kategorisch ab und betrieb zusätzlich eine offen anti-zionistische und Israel – feindliche Politik, welche das Bild von Israel in den Medien und letztendlich in den Köpfen der Menschen stark prägte.[1] Als besonders prägend erwies sich der Wunsch nach einem „Schlussstrich“ über die Geschehnisse der Nazi-Zeit zu legen. Erinnerung an die Verbrechen der Nazis wurden als „Demütigung“ Deutschlands bezeichnet, an denen sich die überlebenden Juden angeblich bereichern wollten. Entschädigungszahlungen an Überlebende wurden somit vehement abgelehnt.

Dieser spezielle Antisemitismus leugnet somit explizit den Holocaust und stellt diesen als Erfindung der Juden zur finanziellen Belastung Deutschland, wie auch einer angeblich gezwungenen pro-israelischen Außenpolitik der BRD da. 2019 leitete der rechtsextreme Angreifer der Synagoge von Halle in seine dokumentierte Tat mit den Worten: „Den Holocaust hat es nie gegeben!“ ein. Diese Aussage sollte verdeutlichen, dass seine Tat moralisch nicht verwerflich sei. Auch im späteren Prozess gegen ihn sah sich der Täter keiner Schuld bewusst – eine krasse Ähnlichkeit zu den Tätern der Nazi – Zeit, die weder Reue noch Verständnis oder Schuld eingestehen wollten.

Eine Unterstufe des post-Auschwitz Antisemitismus benennt den Wunsch nach einem Bruch mit der Erinnerung an den Holocaust, welcher angeblich die kollektive Identität Deutschland belaste und lähme.

3.2. Antisemitismus in rechten Kreisen

Der gewichtige Kern des Antisemitismus rechter Kreise bildet der rassische Antisemitismus. Hierbei wurde die religiös begründete „Andersartigkeit“, welche bereits im ausgehenden Mittelalter immer deutlich auch rassistisch begründet wurde, wich im 19 Jh. fast vollkommen einer rassisch begründeten Ablehnung. Die rassistische Betrachtung der Welt begann schnell mit der „Untersuchung der jüdischen Frage“, wonach die Frage aufgeworfen wurde, ob jüdische Menschen, trotz heller Hautfarbe, zu den europäischen Nationen gezählt werden konnten.

Vor dem Hintergrund der gesellschaftlich – politischen Umwälzungen im 19 Jh. äußerten sich zahlreiche „Rassetheoretiker“ wie der französische Diplomat Arthur de Gibenau (1816 – 1882) oder Houston Stewart Chamberlain (1855 – 1927), Schwiegersohn des für seinen Antisemitismus bekannten deutschen Komponisten Richard Wagner (1813 – 1883), abwertend gegenüber jüdischen Menschen als minderwertige Rasse. Dieses Gedankengut, u.a aufgegriffen von weiteren Denkern wie dem Theologen Paul de Lagarde (1827 – 1891), war die Grundlage für das Denken und den Antisemitismus der Nationalsozialisten.

Alles Schlechte wurde somit „jüdisch“. Der Übertritt zum Christentum konnte somit einen jüdischen Menschen nicht von diesen „schlechten Eigenschaften“ reinigen.

Die Forderung nach der „Reinheit des deutschen Volkes in Blut und Seele“ sah eine strikte Trennung der jüdischen Menschen von der (deutschen) Gesamtbevölkerung vor.

Dieser pseudo-wissenschaftliche Hass konnte seine Widersprüche zur Realität verständlicherweise nicht ablegen. Jüdischen Menschen, welche nach den Rassentheoretikern den Deutschen in jeglicher Hinsicht unterlegen sein müssten, gelang im Deutschen Reich, im Zuge der gesetzlichen Gleichberechtigung, ab 1871 ein sichtbarer Aufstieg in der Gesellschaft, der Wirtschaft und Wissenschaft.

Diese Realität schürte den rassischen Antisemitismus umso mehr. Die Industrialisierung wie auch die damit einhergehenden gesellschaftlichen Probleme des späten 19 Jh. wurden den jüdischen Menschen in die Schuhe geschoben. Juden wurden nun offen als eine „parasitäre Rasse“ bezeichnet, welche den „gesunden deutschen Volkskörper“ zersetzen und vernichten will. Ähnliche Vorwürfe wurden in anderen europäischen Ländern laut, etwa in Frankreich im Zuge der Dreyfuss-Affäre oder im russischen Zarenreich.

Als besonders kritischen Punkt ist die Konsequenz aus dem rassischen Antisemitismus zu entnehmen, welche von Richard Wagner oder Paul de Lagarde öffentlich in Form einer (physischen) Vernichtung der „jüdischen Rasse“ aus den Schriften zu entnehmen ist.

Auch wenn heute diese Vernichtung der Juden nicht mehr offen propagiert wird, ist die Vorstellung von jüdischen Menschen als Fremdkörper innerhalb der jeweiligen europäischen Bevölkerung vorhanden und verbreitet. In der Idealvorstellung dieser rechten Kreise kann ein „gesunder“ Volkskörper nur ohne das Vorhandensein von Migranten und Juden existieren. Zusätzlich dient das „Jüdische“ als bekanntes Synonym für alles Schlechte.

4.) Islamistischer Antisemitismus

Der sogenannte islamische/islamistische Antisemitismus gilt in Anbetracht des Nahost-Konflikts als der am stärksten ausgeprägte Antisemitismus heutzutage.

4.1. Mohammed und die Juden – Basiswissen für den Einstieg in die Diskussion

Die Betrachtung des Qur’ans, der heiligen Schrift des Islams, ergibt wenig Klarheit, da es sowohl positive als auch negative Suren (Abschnitte im Qur’an) über Juden (und Christen!) gibt.

Relevanter ist dagegen die Betrachtung post-qur’anischer Quellen, insbesondere der al-Sira al-Nabawiyyah (der Biographie des muslimischen Propheten Muhammad), verfasst von Mohammed ibn Ishaq (708 –768) und später mehrfach rezitiert und erweitert.

Diese Prophetenbiographie, eine Sammlung der Hadithe (mündliche Überlieferungen über den Muhammad), legte deutlich die problematische Beziehung zwischen der frühen muslimischen Gemeinde und den Juden im vorislamischen Arabien offen.

Die Entstehung der muslimischen Tradition wird ins 7. Jh. u.Z. datiert, in eine Zeit, in der das Christentum sich vom Judentum abgekapselt hat und der -> Antijudaismus seine Anfänge gehabt hat.

Währenddessen befand sich das vorislamische Arabien im Zangengriff zwischen dem zoroastrischen Reich persischen Sassaniden und dem christlichen Byzanz. Letzter führte eine deutlich anti-jüdische Politik aus.

In der Neuzeit, besonders im Auftauchen europäischer Missionare und Diplomaten im Nahen Osten, wurde auch zunehmend der rassische Antisemitismus in die Region eingeführt und mit ihm die Verschwörungserzählungen von der „Allmacht“ der Juden. Christliche Minderheiten im Nahen Osten, welche ihrerseits anti-jüdische Traditionen hatten, übersetzen antisemitische europäische Schriften ins Arabische, wodurch sich auch dieser typisch europäische Rassenantisemitismus unter Muslimen anfing zu verbreiten.

Folgt man hingegen zuerst der Prophetenbiographie ab der Hijra (der großen Migration der frühen, muslimischen Gemeinde unter Muhammad von Mekka nach Yathrib, dem späteren Medina), die den muslimischen Kalender beginnen lässt, wird deutlich, dass Muhammad sich um eine Anerkennung seines Prophetentums von den Juden in Yathrib erhoffte. Doch genau diese blieb aus!

Die daraus resultierende Konsequenz war die Vertreibung der jüdischen Stämme der Banu Qainuqa und Banu Nadir sowie die Tötung und Versklavung der Banu Quraiza.

Diese Erzählung, welche sich historisch nicht belegen lässt, wirkte bis in die Neuzeit als Element der Feindschaft zu Juden, obwohl es in der muslimischen Welt nie zu einer weitreichenden Verfolgung der jüdischen Minderheiten gekommen ist. Ein wesentlicher Grund im Vergleich zum christlichen Antijudaismus liegt im Kern der Erzählung, wonach nicht die Juden dem Religionsstifter physischen Schaden zugefügt haben, wie es die christliche Erzählung vom „Gottesmord“ interpretiert, sondern umgekehrt. Daraus resultierte keine Vorstellung von Juden als bedrohliche Macht für Muslime. Im Gegenteil wurden Juden eher als schwach und ängstlich gesehen. Dieser Aspekt änderte sich, wie bereits erwähnt, durch den europäischen Einfluss.

4.2. Israel und die muslimische Welt – Narrative und Fakten zum Konflikt

Nichtsdestotrotz existierte keine systematische Verfolgung der jüdischen Minderheiten in der muslimischen Welt, wie sie aus Europa bekannt ist. Bis auf eine Reihe von Ausnahmen war die muslimische Welt sogar ein sicherer Hafen für jüdische Flüchtlinge aus Europa, insbesondere nach dem Fall von Granada und dem Alhambra-Edikt von 1492 in Spanien.

Umso wichtiger erscheint daher die Gründung des Staates Israels 1948 als einer der wesentlichen Gründe für den Anstieg des Antisemitismus in der muslimischen Welt. Diese oft gebräuchliche Einschätzung suggeriert jedoch in sich einen antisemitischen Kern, wonach „die Juden“ selbst am Antisemitismus schuld seien. Gleiches wird auf den Staat Israel übertragen.

Ein dominantes Narrativ benennt bereits die zionistische Bewegung mitsamt der Aliyot (Emigrationswellen aus Europa zur Zeit des Osmanischen Reiches und des britischen Mandats Palästina) als problematisch. Faktisch gesehen war die Bevölkerung des Landstrichs, dessen Bewohner vor der Errichtung des britischen Mandats das Wort „Palästina“ nicht kannten, in den größeren Städten wie Jerusalem jüdisch und entstammt dem sogenannten „alten Yishuv“. Diese jüdische Bevölkerung war seit der Antike dort verankert. Die Einwanderungswellen aus Europa haben den guten Beziehungen und dem friedlichen Zusammenleben zwischen Juden und Arabern zunächst auch keinen Abbruch verliehen. Im Gegenteil entwickelte sich eine breite Zustimmung unter arabischen Intellektuellen und Medien zur jüdischen Einwanderung, da schnell das Potenzial einer Entwicklung und Kultivierung des Landes erkannt wurde. In den 1920er Jahren folgten sogar heute vergessene arabische Einwanderungswellen aus Syrien, dem späteren Jordanien und Irak in das britische Mandatsgebiet Palästina, wegen Aussicht auf Arbeit und Wohlstand.

Gleichzeitig etablierte sich in den 1920er Jahren mit der Muslimbruderschaft im britisch kontrollierten Ägypten eine der bis heute erfolgreichsten islamistischen Bewegungen, die einen offenen Antagonismus gegenüber Juden und dem Zionismus an den Tag legte. Bereits in den 1920er Jahren verübte die Muslimbruderschaft Anschläge gegen die jüdische Bevölkerung in Ägypten, obwohl diese zum damaligen Zeitpunkt mit dem europäischen Zionismus nichts zu tun hatte. Nach der Gründung des Staates Israel wurde die Feindschaft konkreter. Der Chefideologe der Muslimbruderschaft, Sayyid Qutb (1906 – 1966), verfasste mit „Unser Kampf mit den Juden“ (1950) eine prägende Hetzschrift. In dieser pries er die Nazis und stellte eine Verbindung zwischen Juden heute und den jüdischen Stämmen in Medina zur Zeit Muhammads, wie in der Prophetenbiografie beschrieben, da. Als Schlussfolgerung seiner Hetzschrift unterstellte Qutb den Juden den Wunsch, die muslimische Religion zerstören zu wollen. Besonders nach 1967 wurde seine Hetzschrift massiv in der arabisch-muslimischen Welt verbreitet.

Die einstige Sympathie zwischen Juden und Arabern, welche noch in der Korrespondenz zwischen Chaim Weizman und Faisal I, dem späteren König des Iraks und Syriens, geriet durch die offensive Kampagne der Muslimbruderschaft und zusätzlich verstärkt durch die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren, gänzlich in Vergessenheit.

Der Territorialkonflikt um das britische Mandat Palästina lässt sich in die 1920er Jahre zurückverfolgen und wird nicht zu Unrecht als Episode der antikolonialistischen Bewegungen in der arabisch-muslimischen Welt gegen die europäischen Mächte gesehen. Während aber gewichtige Stimmen der arabisch – muslimischen Welt die jüdische Präsenz mitsamt der Aliyot begrüßten, nutzte die Muslimbruderschaft von Ägypten aus die religiöse Sprache des politischen Islams, um durch den Konflikt die Muslime von ihrer Agenda zu überzeugen. Insbesondere durch die Person des Mohammed (Haj) Amin al-Husseini (ca. 1895 – 1974) wurde die „Palästina – Frage“ zu einer religiösen Frage für die muslimische Welt. Durch die Unterstützung der britischen Machthaber gelang dem um 1922 ernannten Großmufti von Jerusalem die gewaltvolle Übernahme der arabischen Seite.

Ab den 1930er Jahren fand der Mufti verstärkt Unterstützung durch die Nationalsozialisten. Diese betrachteten das religiöse Event als wichtigen Schlüssel zur Verbreitung ihrer Propaganda unter den Muslimen, wie es der deutsche Botschafter im Teheran im Jahre 1941 berichtete[2]. An dieser Stelle begann ein Missbrauch muslimischer Schriften durch die Nazis. Diese wurden politisiert und aus dem Kontext gerissen. Belege dafür finden sich in der Broschüre „Islam und Judentum“ und Manuskripte von „Radio Zeesen“ in arabischer Sprache. „Islam und Judentum“, veröffentlicht 1937 in Kairo und nur einen Monat später auch in Syrien, wurde zur Quelle der Inspiration für die Werke von Sayyid Qutb, da hier gezielt Elemente aus dem Koran und den Hadithen mit den rassisch – antisemitischen Verschwörungsmythen aus Europa verbunden wurden, um religiös motivierte Gewalt auszulösen.

Vom 1939 – 45 wurde „Islam und Judentum“ von den Nationalsozialisten in zahlreiche weitere Sprachen, z.B. in Bosnisch und Serbo-Kroatisch, um auch die Muslime auf dem Balkan zu radikalisieren. Weitere massive Verbreitung der antisemitischen Propaganda fand das Radio Zeesen statt, welche in den Metropolen des Nahen Ostens zu hören war und besonders bei wenig gebildeten Schichten enormen Einklang fand.

Damit kann die Gründung Israels als Auslöser für Antisemitismus unter Muslimen nicht als Grund herhalten.

Al-Aqsa in Gefahr + „Temple Denying“

5.) Linksextremistischer Antisemitismus

Ein Antisemitismus aus dem linken Milieu galt und gilt manchmal bis heute als Oxymoron. Zu stark hält sich die Vorstellung von Antisemitismus als einem rein ideologischen Element des rechten/rechtsextremen Spektrums. Dieser Gedankengang fußt stark auf der Erfahrung der Nazi – Zeit. Entsprechend wichtig ist die Einordnung des politischen Terminus „links“, bzw. linksextremistisch. Bei Linksextremismus spricht man von einem Sammelbegriff für gewaltbereite, revolutionäre Bewegungen gegen die freiheitlich demokratische Ordnung zugunsten von Anarchismus und/oder Kommunismus aus. All diese Bewegungen betrachten im Kapitalismus und dem demokratischen Staat die Quelle die Ursache für tatsächliche oder vermeintliche Missstände[3].

So kommt es nicht von ungefähr, dass die anti-kapitalistischen Strömungen des 19. Jahrhunderts den „jüdischen Kapitalisten“ als absolutes Feindbild benannten.[4] Die bedeutendste Figur des linksgerichteten, anti-kapitalistischen Antisemitismus wurde Wilhelm Marr (1819 – 1904) mit seiner Hetzschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht-confessionellen Standpunkt aus betrachtet“, in der er den Begriff „Antisemitismus“ als Bezeichnung für den Hass auf jüdische Menschen bekannt machte. Dennoch kann hier die klare Trennlinie zum völkischen Antisemitismus nicht gezogen werden. Ab wann trat also ein signifikant linker Antisemitismus auf?

5.1. Antizionismus und Antisemitismus in linken Kreisen

Um die zuletzt gestellte Frage zu beantworten, lohnt sich der Sprung in die ausgehenden 1960er Jahre, d.h. die Zeit der studentischen Proteste wie auch der Friedensbewegungen in der westlichen Welt. Mit dem 6-Tage Krieg und dem Sieg Israels darin fand in der bis dahin pro-zionistischen Linken ein harter Bruch statt. Im linken studentischen Milieu der Frankfurter Schule setzte bereits Ende der 1950er Jahre, durch Aktivismus palästinensischer Studenten, eine Ablehnung Israels und des Zionismus im Allgemeinen ein. Die Aufarbeitung der Nazizeit spannte den Bogen zu den damals aktuellen anti-kolonialen Bewegungen der dritten Welt. Die Begeisterung für den Kampf der FLN in Algerien und die Viet Minh, später Vietcong, in Vietnam schloss alsbald die palästinensische PLO mit ein. Der militärische Erfolg Israels wurde als Akt des Imperialismus/Kolonialismus europäischer Prägung interpretiert. Diese Weltsicht schloss alsbald auch die Gründung Israels mit ein. Die Aliyot in das Osmanische Reich und später in das britische Mandatsgebiet Palästinas wurden zu Vorboten eines europäischen Kolonialismus gesehen, womit Israel inklusive der zionistischen Bewegung delegitimiert werden sollten.

Das moderne linksgerichtete Weltbild ist stark binär geteilt – mit den USA als Hauptaggressor und „Ausbeuter“ der anderen Völker, ungeachtet der tatsächlichen politischen Gegebenheiten. Somit wird Israel als verlängerter Arm US-amerikanischer Interessen und Unterdrücker der arabisch – muslimischen Völker gesehen.[5] Der politische Islam und der darin integrierte religiös-rassische Antisemitismus werden dabei gezielt ausgeblendet oder stark verharmlost.

5.2. Der Holocaust im Rahmen von Anti – und Postkolonialismus

Im Fokus dieser Thematik steht der in der heutigen Zeit aufgetretene Zweifel an der Singularität des Holocausts. Die kontextualisierte Aufarbeitung zahlreicher Konflikte in der Geschichte der Menschheit im Rahmen des (lediglich europäischen) Kolonialismus hat die These aufgeworfen, dass der Holocaust in eine Reihe von Menschheitsverbrechen von Europäern gegen kolonisierte Völker einzuordnen ist. Die damit einhergehende Relativierung des Holocausts, seiner akribischen Vorbereitung durch die Nazis, wie auch die lange Geschichte des Antisemitismus werden dabei ausgeklammert. Er gilt als eine weitere Etappe des deutschen Kolonialismus in Afrika oder Asien, wobei auch hier bereits kritisiert, dass Juden als eine Ausnahme aufgrund ihrer hellen Hautfarbe zu sehen sind und damit per se keine Opfer des Kolonialismus sein können. Im Gegenteil werden sie sogar von der postkolonialistischen Israel-Kritik als Täter gesehen. Konkret wird der Vorwurf gemacht, Israel sei ein Überbleibsel des europäischen, also „weißen“, Kolonialismus, gegründet zur Ausbeutung und Unterdrückung der Palästinenser. Die von u.a. dem Historiker A. Dirk Moses aufgestellte These nimmt den Erinnerungsgedanken an die Singularität des Holocaust auf und diskreditiert diesen als Werk „rechter Kreise und Israels“ zur Verhinderung von Kritik an dessen Palästinenser-Politik. Die Stimme der Nachfahren und Angehörigen der Opfer der Shoah, besonders wenn sie in Israel leben, wird kein Gehör geschenkt. Der Holocaust wird als ein „kollektives Gut“ gesehen, auf das alle Anspruch haben. Kritik an diesem Denken wird als dabei als „rechte Kampagne“, „provinziell“ oder „neokolonialistisch“ abgetan. Überhaupt wird das Schicksal der Palästinenser gegen den Holocaust in Form von „Opfer der Opfer“ aufgebracht, wodurch antisemitische Tiraden gegen Israel, u.a. die Gleichstellung zwischen Nazi-Deutschland und Israel, legitimiert werden soll. Dieses Phänomen ist sehr stark verbreitet im bürgerlichen Milieu des anglo-amerikanischen und europäischen Raums, sowie in akademischen Kreisen.

5.3. „Pinkwashing“; feministischer Antisemitismus und Friedensbewegungen

Kaum ein Land im Nahen Osten pflegt eine offenere und Politik gegenüber sexuellen Minderheiten als Israel. Nicht nur ist die israelische Metropole Tel Aviv an sich eine Stadt mit einer hohen Dichte an homosexuellen Menschen, auch die jährliche Pride zieht tausende Besucher in die Stadt. Zudem finden Ableger der Pride inzwischen auch in anderen israelischen Städten statt. In den muslimischen Nachbarländern droht homosexuellen Menschen im schlimmsten Falle die Todesstrafe für das Ausleben ihrer Sexualität. Betrachtet man aber queere Organisationen wie “Queers for Palestine”, welche von Palästina oder “der Befreiung Palästinas” als eine “Queer Issue” sprechen wird schnell deutlich, dass die beschriebenen Umstände für LSGBTQ – Menschen im Nahen Osten keine Rolle spielen. Die Toleranz Israel gegenüber den nicht-traditionellen sexuellen Ausrichtungen gilt als Akt der Ablenkung von Israels angeblichen Verbrechen gegen die Palästinenser. Die Toleranz wird bestritten und als falsch verworfen. Hierbei schlummert ein gewichtiges antisemitisches Narrativ, wonach Juden, auch wenn sie Gutes tun, es nie so meinen und ihre wahren, boshaften Absichten lediglich verschleiern wollen.

Ein ähnliches Motiv kommt im feministischen Antisemitismus vor. Jüdinnen, bzw. jüdische Feministinnen werden systematisch ausgeschlossen, solange sie nicht die Existenz und Politik Israels verurteilen, selbst dann, wenn es gar nicht um Israel als Thema geht. Die jüdische, besonders israelische, Frau gilt nicht mehr als unterdrücktes Subjekt des Patriachats, sondern als dessen Vertreterin und Unterstützerin. So wird u.a. der militärische Dienst der israelischen Frauen als Beleg dafür verwendet. Die Tatsache, dass Frauen in Israel den Männern gleichgestellt sind und mit Golda Meir lange vor den europäischen Ländern eine Frau an der Spitze eines westlich orientierten Staates stand, wird ähnlich wie im Fall des “Pinkwashing” lediglich als Mittel zur Verschleierung wahrer, finsterer Absichten gesehen.

Oftmals geht der feministische Antisemitismus gezielt die jüdische Kultur und Religion an. Das Judentum wird als eigentlicher Drahtzieher des Patriachats gesehen, welches in der frühen Antike ein angeblich friedliches Ur-Matriarchat abgeschafft hat, womit die Unterdrückung der Frau begann.

6.) Exkurs: Antisemitische Verschwörungsmythen heute

Da viele der klassischen antisemitischen (christlich konnotierten) Verschwörungsmythen in Folge der Shoa als nicht mehr massentauglich aufgefasst wurden, mussten die bekannten Narrative in antisemitischen Kreisen umformuliert und sozusagen neu verpackt werden. Aus dem Teufelsbund und der Erzählung von den Brunnenvergiftern wurden die Protokolle der Weisen von Zion oder später die “Rothschilds”. Gerade letztere sind im Zuge der globalen Finanzkrisen der 2000er und 2010er Jahre, wie auch mit dem Auftreten von Covid-19 erneut aktuell geworden. Kernelemente bleiben auch hier wieder die Vorstellung von Juden als Drahtziehern von Krisen und Katastrophen auf der Welt, stets mit dem Wunsch versehen den Bevölkerungen schaden zu wollen. Dabei wird erneut klar von den Juden als “Gegenvolk” gesprochen, welches den “guten”, sprich angestammten Völkern von Natur aus feindselig gegenübersteht. Die verschiedenen hetzerischen Schriften zu den Rothschilds oder den protestantischen Rockefellern, denen dennoch “jüdische” Eigenschaften wie Geldmacherei, Gier und gezielte Schädigung der Bevölkerung angekreidet wird, finden sich heute frei zugänglich im Internetshop. Dabei werden Juden als übermächtige, stets wohlhabende Drahtzieher im Hintergrund überzeichnet, vor denen sich sogar Regierungen lenken lassen. Weitere Codes hierzu sind “Die Eliten”; “Die US – Ostküste” oder auch die “Globalisten”, womit auf besonders auf die Trennung von Juden als Teil der Nationen hingewiesen werden soll.

Besonders im Israel – bezogenem Antisemitismus tauchen diese Elemente verstärkt wieder auf. Es ist explizit von einer “zionistischen Verschwörung” die Rede, ohne diese klar definieren zu können. Viel mehr geht es um die Einordnung historischer Ereignisse, vom Holocaust bis zu den israelisch-arabischen Kriegen, in die Vorstellung einer gründlichen Planung zur Eroberung “Palästinas”. Die besonders perfide Ansicht dieser Ideologie wird in der Erläuterung zum Holocaust deutlich, wenn die massenhafte Ermordung europäischer Juden von den “Zionisten” als geplant bezeichnet wird, um später von Deutschland Geld zu erhalten und moralisch Israel auf dem Rücken der Palästinenser gründen zu können. Hierbei wird bewusst Geschichte verdreht und mutmaßlich verfälscht, um das Narrativ zu erhalten. Von systematischen Kindermorden bis zur Schändung von Heiligtümern wird Israel/den Zionisten die alten antisemitischen Klischees und Vorstellungen angedichtet zum Zwecke der Leugnung der Existenz Israels. Hier finden sich auch Elemente des post-Shoah Antisemitismus, der ab 1945 zunehmend u.a. in der Bundesrepublik Deutschland aufgetreten ist.

Erwähnenswert ist zusätzlich der radikalstes und damit auch gefährlichste Verschwörungsmythos – “der große Umtausch”. Kern dieses Mythos ist der Glaube an eine gelenkte Migration von überwiegend muslimischen Männern(!) nach Europa und Nordamerika zum Zwecke der langfristigen Veränderung der ansässigen, weißen Bevölkerungen. Auch in diesem Mythos finden sich Narrative, die lange vor der NS – Zeit existierten und zunächst auch keine jüdische Komponente beinhalteten. Wiederaufgegriffen wurde die Vorstellung eines Bevölkerungsautauschs u.a. durch das Werk “Le Grand Replacement” von Renaud Camus 2011. Hierbei stehen die rückläufigen Geburtenzahlen der europäischen (und weißen, nordamerikanischen) Bevölkerungen im Zusammenhang mit einer immer steigenden Zahl an afrikanischen, nordafrikanischen und arabischen Migranten[6]

Diese meist muslimischen Männer sollen dabei gezielt von jüdischen Organisationen, etwa der “Open Society” von George Soros, gesteuert sein, um Europa und Nordamerika zu verändern und kulturell zu schwächen, bzw. zu zerstören. Dieser Mythos blendet dabei völlig die verschiedenen Ursachen für die niedrigen Geburtenraten aus, welche sich in fast allen Teilen der Welt inzwischen bemerkbar machen. Auch die gänzlich unterschiedlichen Migrationsbewegungen und deren Ursachen werden in einen Topf mit dem Ziel einer Aufstachelung der Massen. Wie gefährlich dieses Denken ist, wurde bereits in den verschiedenen Terroranschlägen von Oslo 2011, Pittsburgh 2018 über Christchurch 2019 bis Halle(Saale) 2019 deutlich. In allen Fällen handelte es sich um rechtsextreme Terroristen, die ihren Hass auf muslimische Einwanderer mit Antisemitismus verbunden haben. In den Bekennerschreiben des Terroristen von Pittsburgh oder im Bekennervideo des Terroristen von Halle(Saale) wurden jüdische Ziele bewusst gewählt, stellvertretend für muslimische. Ebenso gefährlich ist die Annahme einiger Motive aus diesem Verschwörungsmythos durch Regierungen wie in Ungarn oder rechte Parteien, wie dem Resemblement National in Frankreich oder der AfD in Deutschland.

Literatur:

Antisemitismus von Links: Der Nahe Osten im Frankfurter Westend | Zeithistorische Forschungen (zeithistorische-forschungen.de)

antirassismus.pdf (rote-ruhr-uni.com)

Post-Holocaust Antisemitismus: Schlussstrich statt Sühne (bpb.de)

Zum Anti-und postkolonialistischem Antisemitismus

The postmodern Querfront | SpringerLink

Die Wiederkehr des autoritären Charakters | SpringerLink

Ingo Elbe: Gestalten der Gegenaufklärung Untersuchungen zu Konservatismus, politischem Existentialismus und Postmoderne Verlag Königshausen&Neumann, Würzburg, Herbst 2020

Zu Pinkwashing- Ideologie und Queer Antisemitism: Palestine As a Queer Struggle – US Campaign for Palestinian Rights (uscpr.org)

Aktuelles Themenfeld: Documenta15

Zum Fall der Documenta15 in Kassel: Vom Elend des »israelkritischen« Kulturbetriebs (mena-watch.com)

Moderne antisemitische Verschwörungsmythen auf der Documenta15: Augen zu und durch – taz.de

[1] Vgl. Wünschmann in: Juden in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg: 1945 bis 1989/90 | bpb

[2] Küntzel, Vortrag bei EJV am 22.04.2021

[3] Vgl. bpb.de – Dossier Linksextremismus

[4] Kilpert in: Antisemitismus von links | bpb

[5] Kilpert in: Antisemitismus von links | bpb

[6] Wobei im nordamerikanischen Kontext auch die Migration aus Lateinamerika als Bedrohung gesehen wird.