Mit rassischem Antisemitismis bezeichnet man die Entwicklung des Judenhasses in der späteren Neuzeit. Weder die Aufklärung auf christlicher und jüdischer Seite (Haskalah) führten zu einer langfristigen und stabilen Verbesserung der Lage.

Im Gegenteil, die Zurückdrängung des christlichen Einflusses transformierte sich in eine neue Form der Wahrnehmung von jüdischen Menschen. Die religiös begründete „Andersartigkeit“, welche bereits im ausgehenden Mittelalter immer deutlich auch rassistisch begründet wurde, wich im 19 Jh. fast vollkommen einer rassisch begründeten Ablehnung.

Beruhend auf zahlreichen Durchbrüchen in den verschiedenen (Natur-)Wissenschaften im 18 und 19 Jh. und neuen Wissenschaften wie der „Völkerkunde“/Ethnologie begann die Einteilung der Menschheit in verschiedene Rassen. Problematisch war die (sozialdarwinistische) Lesung der Welt, wonach es eine Wertigkeit innerhalb der Menschen gibt, wobei die europäische (bzw. weiße) Rasse die höchste Stufe der menschlichen Entwicklung darstellen sollte. Diese rassistische Betrachtung der Welt begann schnell mit der „Untersuchung der jüdischen Frage“, wonach die Frage aufgeworfen wurde, ob jüdische Menschen, trotz heller Hautfarbe, zu den europäischen Nationen gezählt werden konnten.

Vor dem Hintergrund der gesellschaftlich – politischen Umwälzungen im 19 Jh. äußerten sich zahlreiche „Rassetheoretiker“ wie der französische Diplomat Arthur de Gibenau (1816 – 1882) oder Houston Stewart Chamberlain (1855 – 1927), Schwiegersohn des für seinen Antisemitismus bekannten deutschen Komponisten Richard Wagner (1813 – 1883), abwertend gegenüber jüdischen Menschen als minderwertige Rasse. Dieses Gedankengut, u.a aufgegriffen von weiteren Denkern wie dem Theologen Paul de Lagarde (1827 – 1891), war die Grundlage für das Denken und den Antisemitismus der Nationalsozialisten.

 

Kernpunkte des rassischen Antisemitismus

Anders als beim Antijudaismus konnte der Übertritt zum Christentum jüdische Menschen nicht mehr vor der Diskriminierung bewahren. Die Einteilung der Menschen in Rassen und Völker verband diese mit gewissen Eigenschaften, welche fundamental mit diesen Rassen verbunden sein sollten. Die genannten Rassentheoretiker dichteten dem „arischen“ deutschen Volk im 19 Jh. bereits Eigenschaften wie Fleiß, Unternehmergeist oder Ehrlichkeit zu. Als Gegensatz wurden jüdische Menschen aufgestellt, die genau die gegenteiligen Eigentschaften verkörperten. Alles Schlechte wurde somit „jüdisch“. Der Übertritt zum Christentum konnte somit einen jüdischen Menschen nicht von diesen „schlechten Eigenschaften“ reinigen.

Die Forderung nach der „Reinheit des deutschen Volkes in Blut und Seele“ sah eine strikte Trennung der jüdischen Menschen von der (deutschen) Gesamtbevölkerung vor.

Dieser pseudo-wissenschaftliche Hass konnte seine Widersprüche zur Realität verständlicherweise nicht ablegen. Jüdischen Menschen, welche nach den Rassentheoretikern den Deutschen in jeglicher Hinsicht unterlegen sein müssten, gelang im Deutschen Reich, im Zuge der gesetzlichen Gleichberechtigung, ab 1871 ein sichtbarer Aufstieg in der Gesellschaft, der Wirtschaft und Wissenschaft.

Diese Realität schürte den rassischen Antisemitismus umso mehr. Die Industrialisierung wie auch die damit einhergehenden gesellschaftlichen Probleme des späten 19 Jh. wurden den jüdischen Menschen in die Schuhe geschoben. Juden wurden nun offen als eine „parasitäre Rasse“ bezeichnet, welche den „gesunden deutschen Volkskörper“ zersetzen und vernichten will. Ähnliche Vorwürfe wurden in anderen europäischen Ländern laut, etwa in Frankreich im Zuge der Dreyfuss-Affäre oder im russischen Zarenreich.

Als besonders kritischen Punkt ist die Konsequenz aus dem rassischen Antisemitismus zu entnehmen, welche von Richard Wagner oder Paul de Legarde öffentlich in Form einer (physischen) Vernichtung der „jüdischen Rasse“aus den Schriften zu entnehmen ist.

 

Folgen

Im Deutschen Reich bildete der rassische Antisemitismus eine verfestigte Weltanschauung im völkisch – alldeutschen Milieu. Klerikale wie die „Christlich – Soziale Partei“ (ab 1878) des evangelischen Theologen Adolf Stöcker (1835 – 1909) oder linksgerichtete, anti-kapitalistische Kreise nahmen den rassischen Antisemitismus in ihren jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Programmen auf. 1879 legte der sozialistisch eingestellte deutsche Journalist Wilhelm Marr (1819 – 1904) seine bekannte Hetzschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht-confessionellen Standpunkt aus betrachtet“ nieder, in der er den Begriff „Antisemitismus“ als Bezeichnung für den Hass auf jüdische Menschen bekannt macht. (-> Siehe hierzu auch „Linker Antisemitismus)

Der rassische Antisemitismus hatte für die jüdische Bevölkerung in Deutschland sehr zeitlich physische Folgen in Form der Hepp – Hepp Unruhen in den Jahren 1819, 1830 und 1848 – bekannt als „Radauantisemitismus“ der einfachen Leute, die sich über mehrere Städte Europas erstreckten und Monate dauerten.

Es ist wichtig zu betonen, dass dieser „Radauantisemitismus“ wie auch mancher Vernichtungswahn nicht von allen Theoretikern des rassischen Antisemitismus geteilt wurden. Der preußische Historiker Heinrich von Treitschke (1834 – 1896) lehnte diese zwar ab, forderte im Gegenzug aber von den jüdischen Menschen die vollkommene Aufgabe ihrer jüdischen Kultur, Religion und Identität, womit eine vollständige Assimilation in die deutsche Mehrheitsgesellschaft das Ziel sein sollte.

Heinrich von Treitschkes Ausspruch „Die Juden sind unser Unglück“ wurde einer der bekanntesten Parole der Nationalsozialisten.

Mit Hitlers Machtantritt 1933 wurde der Antisemitismus zu einem Kernelement staatlicher Politik: Ein diskriminierendes rassistisches Regelwerk von Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen grenzte die Juden wirksam aus der deutschen Gesellschaft aus →Radilkalisierung bis hin zur Vernichtungspolitik ab 1941/42.

(Mitarbeit: Lilith Kapellmann, Teilnehmerin von „Empowering Jewish Voices“)